MIT MUT und WILLENSKRAFT meistert ANDREA vierfache Amputation.
„Nach acht Jahren fällt es mir immer schwerer, mich zu erinnern, wie es früher war. Ich bemerke, dass ich bestimmte Dinge in meinem Gedächtnis nicht mehr abrufen kann. Wie man Schnürsenkel bindet zum Beispiel. Das könnte ich jetzt aus dem Stegreif nicht erklären“, überlegt Andrea.
Zweite Schwangerschaft mit Risiko behaftet
Die zweite Schwangerschaft veränderte damals ihr Leben grundlegend. Einige Jahre zuvor war bei Andrea ein Myom an der Gebärmutter entdeckt worden. Wegen ihres Kinderwunschs entschied sie sich, das Myom entfernen zu lassen, um jegliches gesundheitliches Risiko während einer Schwangerschaft zu minimieren.
Zusätzlich hatte ihre Frauenärztin damals empfohlen, sich vor der Geburt in der Klinik vorzustellen, um sicherzustellen, dass alles in Ordnung sei. Jedoch gab die Narbe an Andreas Gebärmutter den Ärzten Anlass zur Sorge, sodass entschieden wurde, dass das Baby per Kaiserschnitt geboren werden sollte. Der Grund: Die Narbe würde sehr wahrscheinlich den Wehen nicht standhalten. Drei Wochen vor dem geplanten Geburtstermin war es dann so weit: Ihre Tochter kam per Kaiserschnitt zur Welt.
Dramatische Vorahnung: Tod bei Geburt
Der Wunsch nach einem weiteren Kind war bald da. Andrea befolgte den ärztlichen Rat und ließ zwei Jahre verstreichen, bevor sie erneut schwanger wurde. Auch dieses Mal sollte das Kind per Kaiserschnitt das Licht der Welt erblicken. Die Schwangerschaft verlief weitgehend reibungslos, doch gegen Ende beschlich Andrea ein mulmiges Gefühl, da die Plazenta an der alten Narbe haftete.
Im März 2016, am Tag vor dem geplanten Kaiserschnitt, saß Andrea neben ihrem Mann im Auto. Urplötzlich überkam sie eine unheilvolle Vorahnung: Die Geburt würde sie nicht überleben. Tränen strömten über Andreas Gesicht, ihr Mann war kaum in der Lage, sie zu beruhigen. Am nächsten Morgen im Krankenhaus begann die OP für den Kaiserschnitt. Als die Plazenta gelöst wurde, blieb Andreas Herz einfach stehen. Eine volle Monitorlänge. Und fing dann wieder an zu schlagen.
Nach dem Erwachen spürte die frisch gebackene Mutter starke Kopfschmerzen. Zudem traten massive Blutungen im Unterleib auf. Besorgt ließ das Mediziner-Team Andrea für zwei Stunden überwachen. Dann war es endlich so weit: Ihre kleine, zarte Tochter wurde Andrea zum Stillen in die Arme gelegt. Es folgte ein Foto mit ihrem Mann und der anwesenden Freundin. Kurz darauf kam die Ärztin, um die Kaiserschnittnarbe zu überprüfen, und dann ging alles sehr schnell.
Schwere Blutungen und erneuter Stillstand des Herzens
Man vermutete, dass die Ursache der intensiven Blutung die Kaiserschnittnarbe war, weshalb diese korrigiert werden sollte. Andrea wurde unter Vollnarkose gesetzt, und die Ärzte begannen, den gesamten Bauchraum und alle Organe nach der Ursache der anhaltenden Blutung zu durchsuchen. Eine fulminante Lungenembolie zog einen weiteren Herzstillstand nach sich, was eine zweieinhalbstündige Reanimation bei offenem Bauch erforderte. Mit 30 Blutkonserven und verschiedenen Medikamenten versuchte das Ärzte-Team, die schwere Blutung (Gerinnungsstörung) in den Griff zu bekommen. Doch es schien aussichtslos. Hilflosigkeit machte sich breit, die Hoffnung schwand zusehends. Als letzte Maßnahme, die vielleicht doch noch Erfolg bringen konnte, wurde Andrea per Hubschrauber mit einer ECMO-Maschine (Herz-Lungen-Maschine) in ein anderes Krankenhaus gebracht. Die Chancen, dass sie diesen Flug überleben würde, waren sehr gering, da ihr Herz während des Flugs alleine schlagen musste. Doch wie durch ein Wunder geschah genau das.
Koma und lebensrettendes Medikament
Andrea lag sechs Wochen lang im Koma, während die schweren Blutungen weiterhin andauerten. Durch die bei der Wiederbelebung erlittenen Verletzungen waren große Teile des Dickdarms und Teile der Bauchdecke abgestorben. Die Leber der zweifachen Mutter war schwer beschädigt, zudem litt sie an Nierenversagen.
Die Mediziner konnten ihrem Mann keine große Hoffnung mehr machen, denn Andrea galt nun als austherapiert. Es bestand nur noch eine winzige Chance durch ein neues, gerinnungsförderndes Medikament, dessen Verabreichung der Zustimmung ihres Mannes bedurfte. Dieser willigte ein. Wenige Stunden nach der Anwendung nahm die Blutungsmenge ab, und Andreas Zustand stabilisierte sich merklich. Ein weiteres Wunder – das war allen klar. Das Medikament zeigte tatsächlich Wirkung. Allerdings führten die kreislaufstabilisierenden Medikamente dazu, dass das Blut auf die lebenswichtigen Organe konzentriert wurde, wodurch die Extremitäten unterversorgt blieben. Die Hände und Füße der lebenslustigen Frau verfärbten sich schwarz. Andrea erwachte schließlich, brauchte aber eine Weile, um wieder klar zu werden. „Ich weiß noch, dass es länger dauerte, bis ich alles einordnen konnte. Ich fragte, welcher Tag sei. Und bei dem Datum fiel mir ein, dass eine Bekannte an diesem Tag Geburtstag hatte. Ich bat wohl darum, sie anrufen zu dürfen“, erzählt Andrea belustigt. Sie wusste jedoch nicht mehr, dass sie in der Zwischenzeit ihre zweite Tochter zur Welt gebracht hatte, die liebevoll von der Schwiegermutter umsorgt wurde. „Ich schaute meine Hände an und wunderte mich, dass ich dunkle Handschuhe anhatte.“ Erst später wurde ihr klar, dass die Haut sich aufgrund des Absterbens verfärbt hatte. Andrea verbrachte insgesamt drei Monate im Krankenhaus Großhadern.
Verlust von Händen und Füßen
Da die Hände und Füße nicht mehr gerettet werden konnten, waren Amputationen unumgänglich. Diese wurden in Murnau durchgeführt. Vor der Operation bat die Bayerin um etwas Zeit, um sich von ihren abgestorbenen Gliedmaßen zu verabschieden. „Ich hatte damals noch Gefühl darin. Und genau dieses Gefühl habe ich immer noch, obwohl nichts mehr da ist.“ Im Juni wurden dann zuerst beide Unterschenkel und später die linke Hand und der rechte Unterarm amputiert.
„Kennengelernt habe ich Andrea auf der Intensivstation. Schon bald war uns trotz der sehr schweren Erkrankung klar: Diese Frau schafft es zurück ins Leben, für sich und für ihre Familie. Andrea hat nicht den Kopf in den Sand gesteckt, sondern den Mut und die Kraft gefunden, ihre Einschränkungen zu akzeptieren, und damit in beeindruckender Weise ihren neuen Weg gefunden. Selten habe ich einen so fröhlichen, positiven und starken Menschen erlebt wie sie“, berichtet Cornelia Hagn, Oberärztin für Anästhesiologie und Intensivmedizin an der BG Unfallklinik Murnau beeindruckt.
Zurück ins Leben mit Prothesen
Ende Dezember konnte Andrea endlich nach Hause zurückkehren. Der Kampf um ein neues Leben hatte beinahe neun Monate gedauert. „Dadurch, dass ich mich von meinen Händen und Füßen verabschieden konnte, nahm ich die Situation und alles, was sie mit sich brachte, eigentlich ganz gefasst auf. Ich hatte schon einen Masterplan erstellt, wann ich was wieder können wollte. Aber frisch nach der Amputation sah das doch schon alles sehr schlimm aus. Es war alles so geschwollen, und ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie ich mit solchen Elefantenfüßen wieder laufen können sollte.“ Die Schwellungen gingen jedoch zurück, und es gab wieder Hoffnung. Andrea hatte zuvor noch nie einen Menschen mit Prothesen getroffen. Daher war sie sehr froh und dankbar, dass ihr neuer Techniker ihr alles Wissenswerte über das Leben mit Prothesen erklärte.
„Ihre Geschichte zeigt, was mit Selbstdisziplin und Willenskraft erreicht werden kann. Von Anfang an beeindruckte mich ihr unerschütterlicher Wille. Bei ihren ersten Gehversuchen unterstützte ein Physiotherapeut vorn und ich hinten, aber Andrea war so motiviert, dass sie uns fast davonlief. Sie konnte es kaum erwarten, wieder auf eigenen Beinen zu stehen, und ließ sich durch nichts entmutigen. Diese erste Phase war entscheidend und zeigte ihre bemerkenswerte Selbstdisziplin. Somit machte sie uns die künftige Versorgung leichter“, erklärt ihr Orthopädietechniker Christian Weiß, stellvertretender Leiter der Prothetik/Orthetik bei der Mödl Orthopädie-Technik GmbH.
Normale Blutwerte überraschen Mediziner
„Mein Körper ist echt mega! Vor ein paar Jahren hat mein Arzt bei der Blutbildauswertung gesagt, dass man nichts mehr von den vergangenen Vorfällen sehen würde. Und wenn er es nicht besser wüsste, würde er mir das nicht glauben. Ich war begeisterte Immobilienmaklerin. Aufgrund meiner gesundheitlichen Situation bin ich aber jetzt verrentet. Erst habe ich schon geschluckt. Aber es geht wirklich nicht anders.
Eine meiner ersten Fragen an meinen Techniker bei der ersten Versorgung war auch: ‚Ich will wieder wandern gehen. Mit welcher Prothese geht das?‘ Ich bekam natürlich mitleidige Blicke, da es insgeheim keiner für möglich hielt. Aber so was interessiert mich nicht. Wenn ich was will, dann bekomme ich das auch hin! Mental war ich schon immer stark“, schmunzelt Andrea. „Ich bekam dann den Kinnex-Fuß des französischen Herstellers PROTEOR. Der wiegt zwar ein bisschen was, aber damit meistere ich jede Steigung. Ich bin absolut begeistert. Ich bin jetzt wieder viel in den Bergen unterwegs.“
Andreas neue Füße: Kinnex™ 2.0 von PROTEOR
Der Prothesenfuß Kinnex™ 2.0 von PROTEOR vereint eine dynamische, mikroprozessorgesteuerte Knöchelgelenktechnologie mit einem Fuß aus Carbonfaser. Das Resultat ist ein sicheres, stabiles und natürliches Gehen mit ständiger Anpassung bei jedem Schritt. Durch die schnellen Mikroprozessoren passt sich der Fuß perfekt an verschiedene Untergründe und Gehgeschwindigkeiten an. Ein Bewegungsumfang von 30° ermöglicht eine optimale Ausrichtung von Gelenk und Fuß, wodurch Druckspitzen auf den Stumpf minimiert werden und der Gehkomfort verbessert wird. Die manuelle Sperrfunktion erlaubt es, das Gelenk per App oder Knopfdruck zu verriegeln und den Fuß in der gewünschten Position zu fixieren, was besonders bei Aktivitäten wie dem Besteigen einer Leiter, Autofahren oder langem Stehen von Vorteil ist. Der Kinnex passt sich zudem an Absatzhöhen von 0 bis 5 cm an.
„Bergab gehe ich meistens sicherer als mein Mann. Echt Wahnsinn dieser Fuß! Ich ziehe dann meistens auch eine kurze Hose an. Ein bisschen langsamer als früher bin ich ja schon, aber dann wissen alle wenigstens gleich auch warum.“
Mit Hopper-Sport-Blades wieder rennen
Andrea fährt nun regelmäßig Rad, oft in Begleitung ihrer Familie und ihres Hunds. Um Unfälle zu vermeiden, wenn der Hund plötzlich stoppt, hat sie sich ein Dreirad zugelegt. Das bietet ihr einfach mehr Sicherheit. Täglich legt sie so 10 bis 15 km zurück. Zudem ist sie wieder aktiv im Reitsport. Früher war sie auch eine begeisterte Läuferin. „Das wäre ja noch mal was! Deswegen habe ich neulich die Hopper-Blades von PROTEOR ausprobiert. Und ich konnte es kaum glauben – ich wusste gar nicht mehr, wie man springt oder läuft!“
Hopper ist ein junges, aufstrebendes, französisches Unternehmen, dessen Sportprothesen in Deutschland durch PROTEOR vertrieben werden. Die fortschrittlichen Sport-Blades erleichtern es Menschen mit Beinamputationen, in den Laufsport einzusteigen. Sie zeichnen sich durch ihre Dynamik und Flexibilität aus und bestehen aus recycelten Carbonfasern, die von Airbus stammen. Die Sohle wurde in Kooperation mit Salomon entwickelt.
„Joggen, das würde ich echt gern wieder können. Gerade um meine Kondition wieder aufzubauen, die ist wirklich schlecht! Aber ich denk immer: Es gibt keine Grenzen im Leben. Nur die, die wir uns selbst im Kopf setzen! Und ja, zu vielem gehört Mut. Vernünftiger Mut. Man darf nicht stehen bleiben und sollte für sich das Maximale rausholen. Es ist immer so ein unglaublich schönes Gefühl, wenn man wieder etwas geschafft hat!“
Im Online-Magazin Barrierefrei ist in der Rubrik LEBENSWEGE Andrea’s Geschichte erschienen.